Ich hätte da mal eine Frage an dich:

Wie empfindest Du gerade Zeit?

Manche Menschen empfinden die Zeit genauso, wie ein Metronom sie bestimmt. In objektiven und unveränderlichen Einheiten, die fest vorgegeben sind.

Hört sich schon sehr genau an, oder?

Einige Leute sagen, dass das allerdings nur für die wenigsten von uns gilt.

Die Zeitempfindung ist, wie jede andere Empfindung auch, eine subjektive Sache. Sie soll von vielen Faktoren abhängen und sich zudem auch regelmäßig verändern.

Das kannst Du für dich übrigens ganz einfach nachmessen. Einfach Stoppuhr an und Augen zu, nach einer gefühlten Minute wieder aufmachen und vergleichen.

Bei der Auswertung gibt es einen ganz einfachen Grundsatz: je entspannter Du bist, desto länger ist deine gefühlte Minute.

Künstler, Musiker und allgemein Personen im kreativen Flow haben meist ein anderes Zeitempfinden. Ihre gefühlte Minute ist oft deutlich länger als die von der Uhr angezeigte. Manchmal auch doppelt so lang oder sogar noch länger.

Wenn wir in einem solchen Zustand sind, merken wir oft nicht, wie die Zeit verfliegt.

Das kann ich übrigens auch für mich selbst bestätigen. Wenn ich einen Text schreibe, so wie beispielsweise diesen hier, verliere ich mich in den ganzen Buchstaben und Wörtern. Und manchmal auch Sachen, die sich zwischen den Zeilen erkenntlich machen. Und einem oft deutlich später oder vielleicht auch gar nicht bewusst werden.

Das stark von der Norm abweichende Zeitempfinden gilt übrigens auch für frisch Verliebte. Sie haben ohnehin andere Prioritäten und haben die meiste Zeit den „Nicht von dieser Welt“ Modus aktiv.

Bei jemandem, der hingegen überwiegend im Hier und Jetzt lebt, entspricht die gefühlte Minute oft der tatsächlich gemessenen. Natürlich gibt es auch hier Abweichungen, doch sie sind nicht so deutlich wie bei Personen, die in ihren eigenen Dimensionen unterwegs sind.

Bei Menschen, die stark genervt oder generell im Stress sind, ist das hingegen genau andersherum. Ihre gefühlte Minute ist oft nur 30 oder 40 Sekunden lang.

Druck hält den Körper auf Trab, beschleunigt den Stoffwechsel, verkürzt die Reaktionszeit. Das alles war mal überlebenswichtig, doch heutzutage ist es eigentlich nur noch stressig, vor allem wenn dieser Zustand länger andauert, was von der Mutter Natur so ja nicht vorgesehen war.

Kinder empfinden die Zeit meistens langsamer als Erwachsene. Sie sind oft noch von sich aus in einem kreativen Dauerzustand, weil sie die Welt noch mit ganz anderen Augen sehen und offener für neue Erkenntnisse sind. Ihre Blätter sind noch größtenteils unbeschrieben und sie nehmen oft Sachen wahr, die an den Erwachsenen vorbeigehen.

Vor kurzem begegnete mir in einem Buch* die Geschichte über eine Uhr, die stehen geblieben ist. Mein Gedächtnis möchte sie mir dir unbedingt teilen.

Es gab mal ein altes Haus. Ein Haus, zwar von außen unscheinbar, doch im Inneren dafür voller Geschichten und Erinnerungen. Schon deutlich in die Jahre gekommen, strahlte es dennoch seine eigene Energie aus. Es war voller Möbelstücke und Gegenstände, die einem manchmal so alt vorkamen, dass sie gefühlt aus einer anderen Zeit stammten.

Und wenn man in diesem Haus drin war, lief die gefühlte Zeit tatsächlich etwas langsamer. Es gab darin nämlich viel zu sehen und zu entdecken, was sich nur schwer in feste und unveränderliche Zeitabstände packen ließ.

Das Haus war wunderschön verträumt, man konnte sich darin vergessen, vollständig in den angenehmen Erinnerungen aufgehen. Wie in einer anderen Dimension, in der vieles, was heute wichtig ist, keine große Rolle spielt. Und auch die Zeit zählt manchmal dazu.

Unter den vielen Gegenständen in diesem Haus befand sich eine schöne alte Uhr, die irgendwann stehen geblieben ist. Sie zeigte immer dieselbe Uhrzeit an, und zwar genau sieben Uhr.

So wie die Uhr da war, passte sie zu den anderen Sachen um sie herum. Und da das Haus ja ohnehin wie aus einer anderen Zeit stammte, war es auch gar nicht auffällig, dass die Uhr in dieser Zeit nicht lief.

Vielleicht war es auch irgendwann ihre eigene Entscheidung gewesen, oder eine Abmachung mit dem Rest des Hauses, wer weiß das schon.

Einige Leute sagten, die Uhr wäre nutzlos, schließlich erfüllte sie ja nicht ihren ursprünglichen Zweck. Doch es stimmte nicht ganz, denn zweimal am Tag zeigte sie für einen kurzen Moment die richtige Uhrzeit an.

Es waren zwei Punkte im Ablauf des Tages, zu denen die alte Uhr wieder in ihrer Hochform war. Sie vereinigte sich dann gedanklich mit allen anderen Uhren, die richtig liefen, und wurde zu einem unverzichtbaren Teil davon. Sie wartete jedes Mal ungeduldig darauf und es waren zweifellos ihre beiden Höhepunkte, Tag für Tag.

Ich frage mich, ob wir es wirklich begreifen, dass unser Universum selbst einem scheinbar nutzlosen Gegenstand wie einer kaputten Uhr regelmäßige flüchtige Augenblicke schenkt, die wundervoll sind.

Augenblicke des Lebendigseins, des Inspiriertseins, des vollwertigen Daseins. In denen die inneren Grenzen nicht mehr gelten, in denen uns alle Ressourcen der Welt zur Verfügung stehen, in denen wir uns allmächtig fühlen. Momente, die unser Leben so besonders machen. Die sich zu einem vollwertigen Dasein zusammensetzen.

Wenn Du magst, kannst Du dir etwas Zeit lassen, um in aller Ruhe darüber nachzudenken.

Inspiration lässt sich übrigens auch nicht in ein Zeitkorsett packen. Einige Leute sagen, dass sie in anderen Raum-Zeit-Dimensionen stattfindet.

Du darfst dich gerne von dieser Geschichte inspirieren und mit neuen Impulsen füllen lassen, so dass Du wieder frisch und bereit bist für das, was Du auch immer vorhast.


*Inspiriert von dem Buch „Komm, ich erzähl dir eine Geschichte“ von Jorge Bucay

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