Ich hätte mal eine Frage an dich:

Was bedeutet für dich Freiheit?

Während du vielleicht einen Moment lang darüber nachdenkst, lade ich dich schon mal dazu ein, es dir bequem zu machen und Wort für Wort den einen oder anderen Muskel so zu entspannen, wie es dir am besten passt.

Manchmal sind Fragen oder Begriffe da, über die wir nicht ganz so oft nachdenken. Wir nehmen den einen vielleicht so hin, über den anderen denken wir vielleicht kurz nach, und der dritte ist für uns so selbstverständlich, dass wir gar nicht erst anfangen, darüber nachzudenken.

Vielleicht haben wir als Menschheit auch deshalb überlebt, weil wir nicht über alles immer aktiv nachgedacht haben. Einiges regelte sich nämlich auch durch andere Kräfte in uns, die alles das übernahmen, wofür wir in dem Moment keinen aktiven Gedanken parat hatten. Und vielleicht war das auch gut so, sonst wären wir ja womöglich auch gar nicht hier.

Vielleicht möchtest du dir deshalb gerade einen kleinen Vogel vorstellen, der am Ufer eines kleinen Sees lebt. Der See ist völlig ruhig, keine Welle bewegt seine Oberfläche.

Es ist gerade Herbst, die Natur badet in allen vorstellbaren und unvollstellbaren Rot-, Braun- und Beigetönen und bereitet sich in vollen Zügen auf den Winter vor.

Der kleine Vogel sitzt gerade da und denkt darüber nach, ob es wohl wirklich eine gute Idee war, diesmal nicht mit den anderen Zugvögeln mitgeflogen, sondern da geblieben zu sein.

Anfangs war es ganz aufregend und ungewohnt, doch mittlerweile ahnte er den herannahenden Winter mit seinen Winden und ungemütlichen Temperaturen.

Wie bequem es doch gewesen wäre, jetzt einfach mit den anderen fröhlich und geschlossen in wärmere Gefilde unterwegs zu sein, in der entspannten Sicherheit, dass alles gut läuft und man sich gegenseitig anfeuert und unterstützt.

Es ist eben manchmal bequem, mit dem Strom zu schwimmen. Weil es die meisten so tun, sonst gäbe es wahrscheinlich gar keinen Strom. Eins mit den anderen sein, gemeinsam Entscheidungen treffen, zusammen fröhlich oder traurig sein.

Doch manchmal sind es auch andere Seiten, die wichtig sein können. Sich zum Beispiel einfach mal zu entscheiden, nicht mit der Menge mitzugehen. Stattdessen einfach mal zu bleiben, auch um zu erfahren, was dann passiert.

Der Vogel dachte darüber nach, dass die Nahrung jetzt womöglich knapper wird. Und dass es bestimmt auch ein paar frostige Nächte geben wird, in denen kahle Baumkronen kaum noch Schutz bieten werden.

War es das wirklich wert?

Er dachte über seine Entscheidung nach. War das eine gute Entscheidung? Ist es überhaupt gut, die Möglichkeit zu haben, sich anders zu entscheiden?

Irgendwo ganz tief in seinen Gedanken spürte er die Unsicherheit, die mit solchen Entscheidungen verbunden sein kann.

Ist das wirklich der Preis dafür? Hat denn wirklich jede Entscheidung im Leben ihren Preis?

Nur etwas, das lebt, kann gegen den Strom schwimmen. Etwas, das nicht lebendig ist, hat keine solche Möglichkeit.

Kann denn dann überhaupt etwas, das nicht lebendig ist, frei sein?

Der Vogel dachte kurz über den Frühling nach. Über die Vielfalt der Farben, Düfte, über die Reichhaltigkeit der Nahrung. Das alles war allerdings noch weit entfernt. Bis dahin war noch viel zu tun.

Der Vogel fragte sich, wie es wohl sein würde, erste aufsteigende Frühlingsgefühle auf einem sonnengewärmten Felsen zu genießen. Die eigene Sippe wieder zurückkommen zu sehen, sie wieder um sich herum zu haben. Ihre Nähe zu genießen, vielleicht sogar ihre Bewunderung zu erfahren über etwas, das man durchgemacht hat.

Wird die akzeptierte Unsicherheit, das eingegangene Risiko es am Ende wirklich wert gewesen sein?

Ach, wie toll es doch wäre, das von vornherein zu wissen!

Kann es sein, dass solche Fragen früher oder später jedem von uns begegnet? Der kleine Vogel, der jedes Mal vor die Wahl gestellt wird, ob er mitfliegt oder ob er ein Stück weit gegen den Strom schwimmt?

Ein Vogel, der trotz seiner Flughöhe die Reichweite seiner Entscheidungen nicht immer vollständig überblickt. Sondern oft auch im Nachhinein still am Ufer eines kleinen Sees sitzt und darüber nachdenkt, ob die Unsicherheiten wirklich mit der Freiheit einhergehen, unzertrennlich zu jeder Entscheidung dazugehören, uns wachsen lassen, womöglich auch unser Leben ein Stück weit ausmachen.

Du kannst dir gerne ausreichend Zeit dafür lassen, soviel, wie es für dich am besten passt.

Und wenn du magst, kannst du gerne etwas von der nachdenklichen Ruhe dieses kleinen, tapferen Vogels mitnehmen. So viel wie es für dich am besten anfühlt, um dich anschließend in deiner eigenen Geschwindigkeit von den Bildern und Eindrücken zu lösen.

Und wenn du dich gesammelt hast, kannst du gerne wieder ganz wach und frisch wieder hierher zurückkommen. Bereit für alles, was noch kommen mag.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Captcha loading...