Ich hätte mal eine Frage an dich:
Wie atmest du jetzt gerade, in diesem Moment?
Einige Leute sagen, dass wir durch unsere Atmung die wesentlichen Funktionen unseres Körpers steuern können.
Mal atmen wir schneller, mal langsamer. Mal nur oberflächlich, mal etwas tiefer.
Und wenn wir mal nicht weiter wissen, halten wir den Atem erst einmal an. Halten für einen Moment unser Leben an.
Die Yogis glaubten sogar, durch das langsame Ausatmen das Leben verlängern zu können.
Glaubst du, da ist etwas Wahres dran?
Mache es dir bitte bequem, ich erzähle dir dazu mal eine Geschichte.
Er hatte einen Traum.
Es gab eine große Flut und sein Haus stand komplett unter Wasser.
Die ganze Menschheit stand unter Wasser.
Sie liefen zu zweit in den Keller, um noch einige Sachen zu retten.
Und jetzt waren sie in diesem Kellerraum von Wassermassen eingeschlossen.
Der Raum war wasserdicht, weil das Haus in einem stillgelegten Flussarm gebaut wurde und die Keller im Frühjahr vollliefen.
Jetzt war es jedoch anders, denn das Haus stand plötzlich meterweit unter Wasser.
Und der Druck von außen war so groß, dass sich die Kellertür nicht mehr öffnen ließ.
Sie waren also gefangen in einem luftdichten Keller, während das Haus bis übers Dach unter Wasser stand.
Und sie waren beide erschöpft. Hilfeschreie können auf Dauer ganz schön anstrengend sein.
Während draußen mittlerweile tiefe Nacht herrschte.
Sie schlief neben ihm ganz friedlich. Er sah sie an.
Sie war sein ein und alles. Besonders jetzt.
Es war stockdunkel. Er konnte nur ihre Silhouette erkennen. Und doch wusste er, das sie wunderschön war. Auch in diesem Augenblick.
Es war sehr still. Er konnte gut hören, wie sie ruhig und gleichmäßig atmete.
Er dachte kurz darüber nach, dass der Sauerstoff in diesem Raum begrenzt war.
Und dann dachte er noch einmal darüber nach, wieviel sie gemeinsam hatten.
Sie hatten zusammen ein Haus gebaut. Sie teilten viele Leidenschaften und hatten viele gemeinsame Freunde.
Und jetzt hatten sie auch noch die gemeinsame Luft zum Atmen. Den gemeinsamen Atem.
Gut, dass sie sich beide beruhigt hatten.
Egal, was draußen los war. Sie waren beide hier und sie lebten noch.
Und er war sehr dankbar dafür.
Es ist erstaunlich, wofür man alles dankbar sein kann.
Diese Dankbarkeit erfüllte ihn mit einem angenehmen, warmen Licht und sie entspannte ihn gleichzeitig auf ihre eigene Art und Weise.
So dass er diesen Moment länger genießen wollte.
Was auch immer draußen los war – er war entspannt und atmete dabei langsam und tief.
Denn dadurch glaubte er, den vorhandenen Sauerstoff zu sparen und so ihr gemeinsames Leben etwas verlängern zu können.
Es war alles, was sie in diesem Augenblick hatten – eigentümliche Stille, tiefe Dunkelheit und die Luft zum Atmen.
Die Luft, ohne die wir nicht leben können.
Eine Mischung aus Sauerstoff und Stickstoff, über die wir meistens kaum nachdenken.
Wir reden stattdessen viel über andere Gase. Über Kohlenstoffdioxid, über Erdgas, vielleicht manchmal auch über Lachgas.
Über das Wichtigste denken wir hingegen kaum nach.
Weil es ja eigentlich schon immer da war. Für unsere Vorfahren, für uns und hoffentlich auch für diejenigen, die nach uns kommen werden.
Es ist schön zu wissen, dass man mit jedem Atemzug Leben einatmet.
Die unzähligen Luftmoleküle, die genauso schon vor Tausenden von Jahren ein- und ausgeatmet wurden.
Von den Urmenschen, von den Pharaos, von den Königen und Kaisern, von allen, die vor uns gelebt haben.
Die Luftteilchen, die wir einatmen, sind nämlich dieselben, die auch sie eingeatmet haben.
Und sie verbinden uns mit ihnen in jedem Augenblick, ohne dass es uns bewusst ist.
Sie verbinden uns mit allem, was auf unserem Planeten jemals gelebt hat und jemals leben wird.
Denn der Atem ist der kleinste gemeinsame Nenner von uns allen.
Er ist der Ursprung des Lebens. Und seine Tiefe bestimmt über die Fülle und die Qualität unseres Daseins.
Denn solange wir atmen, leben wir.
Lass uns deshalb etwas tiefer und bewusster ein- und ausatmen.
Gemeinsam, nur du und ich.
Lass uns leben.
Jetzt.
*Inspiriert von dem Buch Breath – Atem: Neues Wissen über die vergessene Kunst des Atmens von James Nestor.